LOS GIGANTES REISEBERICHT
MEXICO, AUGUST/SEPTEMBER 2007


Mexico 2007


Sonntag, 16. September 2007, México D.F.

Liebes Tagebuch,
die Nation schwelgt im nationalen Hochgefühl, heute ist die mexikanische Unabhängigkeit von Spanien 197 Jahre alt. Da würden wir auch feiern.
Wir Fremden aber waren unterwegs von Morelia nach der Hauptstadt, wo wir unseren letzten Nächten in diesem gastfreundlichen Lande entgegensehen.

Es war uns dann doch gelungen, uns trotz der unmenschlichen Hitze in und um Veracruz aufzuraffen, unsere Ränzel zu schnüren und den Weg ins kühle Hochland anzutreten. Schließlich wurden wir in Morelia zu einem dieser legendären Auftritte erwartet, für die uns México so liebt. Wir kamen am Tage zuvor an, hatten also genug Zeit uns zu akklimatisieren und am Abend Tacos mit Chorizo, al pastor, de lengua, de cabeza und de ojos in großen Mengen zu vertilgen. Anschließend waren größere Mengen Tequila nötig, um im Magen wieder Ruhe zu schaffen, die allerdings nicht bei allen völlig wieder einkehren wollte.
Darunter litt das Konzert am 14. im Los Arreigos jedoch nicht. Im historischen Zentrum hat sich dieses kulinarisch wie kulturell ambitionierte Restaurant angesiedelt, das einen wunderschönen Rahmen für ein Konzert der Giganten bot. Die Elite der Stadt, darunter der Sekretär des Chefs des städtischen Kulturamts und Mitglieder des örtlichen Gewerbevereins, hatten sich versammelt. Zunächst mit Wohlwollen, dann mit wachsender Begeisterung folgten sie unserem Vortrage, gerieten mehr und mehr in Feierlaune und spendeten großzügig Applaus. Wir waren auch wirklich nicht schlecht.
Leider kannten viele der Anwesenden unsere bisher erschienenen Tonträger und Aufnahmen des vor einigen Jahren in Aguascalientes mitgeschnittenen Konzerts, was zu zahlreichen und sehr konkreten Musikwünschen seitens der Fans führte, denen nachzukommen wir uns zwar bemühten, erfüllen aber konnten wir beileibe nicht alle, der Abend hätte kein Ende genommen. Auch so war es doch nach vier, als wir endlich zu Bett gehen konnten.

Am 15. September wird in México ordentlich für den Abend eingekauft, da beginnen nämlich die Feiern zum Nationalfeiertag. Punkt Mitternacht wiederholt der Präsident den "Grito", den Schrei mit dem Benito Juárez einst die Unabhängigkeit einläutete. Bis dahin empfiehlt es sich, schön einen drin zu haben, denn da hebt ein Fahnenschwenken und Feuerwerken an, dass es nur so seine Art hat, und da hilft dem Touristen der Alkohol.
Wir allerdings feierten eher geruhsam im Kreise von Freunden und uns nahestehenden Familien. Ein weiteres und für diese Reise wohl ein letztes Mal spielten wir Perlen mexikanischen Liedguts für ein Publikum von Kennern.

Eine letzte Busreise brachte uns wieder hierher in den D.F..
Morgen werden wir die bislang versäumten Einkäufe tätigen, für die Lieben daheim das ein oder andere Mitbringsel erwerben, noch einmal Filete Tampiqueña essen...



Montag, 10. September 2007, Chachalacas

Liebes Tagebuch,
wenn es nicht so heiß, so schwül wäre, hätte ich vielleicht die Kraft gefunden, mich früher zu melden. So aber...
Seit einigen Tagen sind wir nun am Meer, wir haben uns bei brütender Hitze durch Veracruz geschleppt, am Zócalo der Stadt den abends aufspielenden Kapellen gelauscht (es wäre sicher schön gewesen, die Ensembles einzeln zu hören, leider aber gibt es wohl eine Absprache unter den Musikern, dass alle gleichzeitig zu spielen haben, damit keiner benachteiligt werde), Café im berühmten La Parroquia getrunken, hauptsächlich aber das getan, was Mitteleuropäern bei solch einem Klima zu tun bleibt: Wir haben geschwitzt.
Schnell wurde uns klar, dass es sinnvoll sei, außerhalb an einem einsamen Strand Erholung zu suchen. Chachalacas heißt er, der kleine Ort, in dem wir Zuflucht gesucht haben. So sitzen wir also bei einer schönen Brise am Strand, denken nach, lesen, reden über unsere Erfolge in México, essen Meeresfrüchtecocktails oder Tintenfische in scharfer Soße und trinken literweise Bier.
Gleichförmig vergehen so die Tage, Kalender und Uhr verlieren ihre Bedeutung, man lebt im Einklang mit der Natur und unterwirft sich ganz den Grundlagen menschlichen Seins: Müdigkeit, Hunger und vor allem Durst.
Schlechtes Gewissen angesichts dieser Indolenz kennen wir nicht, schließlich haben wir vorher im ES3 in Tlalnepantla hart gearbeitet, haben das Publikum beglückt, die einheimische Kritik überzeugt, den Veranstalter beeindruckt, die Tänzer erfreut, Liebende unterstützt, Trinkern Erleichterung verschafft.
Und nebenher diesen Ausflug ans Meer finanziert.
Noch ist nicht klar, ob wir je zurückkommen werden, zu anstrengend ist jede Bewegung weg vom Strand, vielleicht bleiben wir einfach da, fahren morgens raus zum Fischen oder verbrauchen unsere Ersparnisse... Nachdenken kostet zuviel Kraft.

Hier noch eine wichtige Information:
An dieser Küste ist der Stamm der Totonaken heimisch. Wenn wir heute das Wettergeschehen in der Karibik betrachten, wenn wir von Hurrikanes sprechen, befleißigen wir uns eines Wortes aus ihrer Sprache, heißt doch ihr Gott des Windes "huracán".
Bis bald.



Dienstag, 04. September 2007, Querétaro

Liebes Tagebuch,
gestern kam es zu einer großen Überraschung:
wir spielten vor erlesenem Publikum im El Rinconcito und was für ein Erfolg...

Doch der Reihe nach.
Nachmittäglicher heftiger Regen zwang uns, in eben dieser Cantina ein wenig unterzustehen. Wir tranken etwas Bier, hakten beim Barkeeper nach, wie es denn mit dem kleinen Konzert am Abend für einige Biere aussähe, was er mit dem Hinweis, Montage seien eher Tage, an denen die Gäste quatschen wollten, abschlägig beschied.
Weil der Regen aber nicht nachlassen wollte, wir daher zum Bleiben gezwungen waren, kamen wir mit ein paar schnauzbärtigen Vaqueros, offensichtlichen Stammgästen, ins Gespräch. Man sprach übers Wetter ("Regen ist Geld", alte mexikanische Bauernregel), über das Land, die Heimat, Cowboyhüte und ähnliches. Als sie erfuhren, dass wir Musiker sind, baten sie um eine Kostprobe, wollten wissen, wie unser Repertoire aussähe, was ein Konzert koste. Mittlerweile war der Besitzer der Bar dazugestoßen, er vor allem interessierte sich für die finanzielle Seite des Musikgeschäftes. Schließlich wurde vereinbart, zwischen sieben und acht eine Stunde aufzuspielen, für eine nicht eben unerhebliche Summe von x Pesos versteht sich.

Einigermaßen pünktlich kehrten wir in die fast völlig leere Kneipe zurück, die sich aber schnell füllte. Jene Stammgäste vom Nachmittag erschienen mit ihren Eltern, Ehefrauen und Töchtern aus dem fünfzig Kilometer entfernten San Juan del Río!
Und so wurde es ein rauschendes Fest. Hochinteressiert lauschten sie unserer Musik, waren tief ergriffen, wenn es sich um ihnen vertraute heimische Klänge handelte, aufmerksam, wenn wir Musik auf Englisch oder gar eigene Werke spielten. Zusehends hob sich die Stimmung, die Tische begannen sich unter der Last der Tequilaflaschen zu biegen, da wurde mitgesungen, getanzt und geplaudert...
Nach einer guten Stunde jedoch war der Lautstärkepegel sehr hoch, die Wünsche nach uns unbekannten Liedern wurden immer lauter, und so beschlossen wir, aufzuhören, als es am schönsten war.

Der Chef zollte uns höchstes Lob: es fehlten uns nur zwei Dinge, eine Violine und ein musikalischer Leiter. Wir waren sehr erfreut, umso mehr, als er bereit war, uns diese seine Kritik in leider immer unverständlicher werdendem Spanisch (der Agavenbrand!) zu erläutern.
Für Countrymusik brauche man nunmal eine Geige, sonst sei es keine Countrymusik. Ähnlich verhalte es sich mit mexikanischer Musik ohne Bajo Sexto, das könne man ebenso vergessen. Man bekomme keine Auftritte in den Hotels und in den Bars, denn das sei halt das, was die Leute hören wollten. Er kenne sich aus, ihm gehöre diese Bar, das ganze Gebäude, die nebenan, zahllose weitere Betriebe und Immobilien in Querétaro, im gesamten Staat.
Unseren Verdacht, dass es sich schon beim immer nahezu leeren El Rinconcito um ein Geschäft zur Geldwäsche handele, entkräftete diese Rede ebensowenig, wie die Tatsache, dass der Chef später auf den teuren Hüten zweier Gäste herumtrampelte, sie aber sofort mit jeweils mehreren tausend Pesos entschädigte, die er gerade auf Tasche hatte.
Leider war es irgendwann Zeit zu gehen. Anstandslos zählte der Chef unsere Gage von einem immer noch umfangreichen Geldbündel ab und übergab sie uns mit den Worten: Eine Violine, Señores, eine Violine...
Wir ließen glückliche Mexikaner und eine CD für den Barkeeper zurück. Eigentlich wäre ihm eine finanzielle Zuwendung für die Vermittlung dieses Auftritts, also für die Tatsache, dass er ihn nicht verhindern konnte, lieber gewesen, ein Tonträger von Los Gigantes erfreut aber das Herz jedes Menschen.

Heute brechen wir nach San Juan del Río auf, um einige Tage der Hektik der mexikanischen Großstadt zu entfliehen, und um uns vorzubereiten auf den 6. September, unseren großen Tag in Tlalnepantla.



Montag, 03. September 2007

Liebes Tagebuch,
tut mir leid, dass ich mich jetzt erst melde, aber die Tage verstrichen so schnell, dass ich abends ohne an einen Rechner gekommen zu sein ermattet ins Bett sank. Hier also eine Zusammenfassung der letzten sechs Tage:
Nach einem ereignislosen Flug (lobend erwähnt seien nur die neuen Küchenchefs von KLM, die Herren Bertolli und Knorr) sind Los Gigantes wieder in México, dem Ort ihrer größten Erfolge.
Dieses Mal jedoch wollen wir ein gänzlich neues Tour-Konzept ausprobieren. Statt wie bisher im Voraus Konzerte auszumachen, möchten wir uns vom Wind der Ereignisse treiben lassen und dort aufspielen, wo man uns braucht, wo die Vibrations stimmen.
Vorher gilt es aber, die Garderobe aufzustocken, denn das mexikanische Publikum gilt als sehr kritisch, was Bühnenkleidung angeht. (Hier sei ein Blick auf www.bandamax.tv, die Website eines beliebten Musiksenders empfohlen, da wird klar, was ich meine), also gingen schon mal zwei Tage mit Powershopping in der Hauptstadt drauf. Dann führte uns der Weg nach Tlalnepantla, wo es uns schnell gelang, lokale Veranstalter von der Notwendigkeit eines Auftritts von uns zu überzeugen.
Wir sind in einer Zeit patriotischen Hochgefühls in diesem Land, im September gibt es nämlich gleich zwei Nationalfeiertage zu feiern, den der Unabhängigkeit am 16. und den der Verstaatlichung der Elektrizitätswerke am 27.. Wer nicht auffallen will, kann nur Nationalflagge schwingend vor die Tür.
Seit zwei Tagen sind wir nun in Querétaro, ein Auftritt in eher privatem Rahmen im El Rinconcito heute abend ist nicht ganz ausgeschlossen, die Kneipenbesitzer möchten aber nichts überstürzen und uns am späten Nachmittag Bescheid geben.
Bis bald, liebes Tagebuch.